(Erschienen 1807/1810)

Kurz, damit diese Empfehlung nicht länger gerät als die Erzählung selber.
Immer wieder mitreißend: Heinrich von Kleist. In dieser Erzählung behandelt er auf engstem Raum umfassende Themen wie Liebe und Solidarität, Verrat und Gerechtigkeit, Elternliebe, Gleichheit und Gewalt. Neben der eindringlichen Schilderung eines Erdbebens, natürlich.

Das titelgebende Erdbeben sorgt für einen kurzzeitigen „Umsturz aller Verhältnisse“, die Säulen der feudal-bürgerlichen Gesellschaft stürzen buchstäblich ein – und danach erscheint das Urbild einer Gesellschaft von Gleichen, voll gelebter Solidarität und dankbarer Lebensfreude.

„Und in der Tat schien, mitten in diesen grässlichen Augenblicken, in welchen alle irdischen Güter der Menschen zugrunde gingen, und die ganze Natur verschüttet zu werden drohte, der menschliche Geist selbst, wie eine schöne Blume, aufzugehn. Auf den Feldern, so weit das Auge reichte, sah man Menschen von allen Ständen durcheinander liegen, Fürsten und Bettler, Matronen und Bäuerinnen, Staatsbeamte und Tagelöhner, Klosterherren und Klosterfrauen: einander bemitleiden, sich wechselseitig Hülfe reichen, von dem, was sie zur Erhaltung ihres Lebens gerettet haben mochten, freudig mitteilen, als ob das allgemeine Unglück alles, was ihm entronnen war, zu einer Familie gemacht hätte.“

Doch bald wird diese reine Lebenslust wieder in die alten Bahnen gelenkt, und es ist ausgerechnet ein Vertreter der himmlischen Ordnungsmacht auf Erden, der den Hass sät und in verblendeten Fanatikern willfährige Handlanger findet, die eine rasende Gewaltorgie entfesseln.

Kleist schildert mal stakkato-artig kurz, mal ausladend wortreich die rasch aufeinanderfolgenden Wechselfälle des Geschehens und die verschiedenen Gemütsbewegungen seiner Hauptpersonen. Das Wechselbad der Gefühle findet ein katastrophales Ende, das den Leser atem- und sprachlos zurücklässt, wie zerschmettert am granitharten Fels menschlicher Engstirnigkeit.