Lawrence Durrell, Bittere Limonen. Erlebtes Cypern

(Erschienen 1957)

1953 ging Lawrence Durrell als Privatmann nach Zypern, das damals noch britische Kolonie war, und kaufte in einem kleinen Dorf ein altes Haus. Als ihm das Geld ausging, unterrichtete er Englisch am Gymnasium in Nikosia, schließlich nahm er ein Stellenangebot als Presseberater der englischen Kolonialregierung an. „So kann ich behaupten, dass ich die Entwicklung der Tragödie dieses Landes sowohl von der Dorftaverne wie vom Regierungspalast aus beobachtet habe“, schreibt er im Vorwort und fährt fort: „Ich habe mich bemüht, sie durch meine Figuren zu veranschaulichen und sie weniger aus politischem als aus individuellem Blickwinkel zu betrachten; denn es lag mir daran, das Buch von Kleinlichem und Verächtlichem freizuhalten in der Hoffnung, dass es noch lesenswert sein möge, wenn die gegenwärtigen Missverständnisse längst überwunden sind, und das wird früher oder später geschehen.“

Durrell ist ein weit gereister Mann, spricht Griechisch und vermag sich Freundschaften zu erobern mit seiner profunden Kenntnis der griechischen Sprache und der byzantinischen Geschichte und Kultur, seiner warmherzigen und offenen Art und seinem Geschick, Misstrauen und Ablehnung den Wind aus den Segeln zu nehmen mit Sätzen wie diesem: „Nachbar, ich bin hergekommen, um bei euch zu leben. Ich weiß, was griechische Gastfreundschaft ist. Und Sie sollen wissen, dass ich stets bereit bin, meinem Nachbarn beizustehen. Überall im Ort hat man mir erzählt, was für ein guter und ehrenhafter Bauer Sie sind.“
Und auch türkische Zyprer weiß er zu nehmen: „ ‚Ich habe nichts zu bieten als Dankbarkeit und Freundschaft. Ich bitte Sie als türkischen Gentleman, mir zu helfen.‘ (…) Ich sah, dass ich einen diplomatischen Coup gelandet hatte, weil ich ganz auf das eiserne Gesetz der Gastfreundschaft setzte, das in der Levante die Grundlage aller Beziehungen ist. Mehr noch, glaube ich, wendete das magische Wort ‚Gentleman‘ die Dinge zu meinen Gunsten… Durch eine einzige taktvolle Ansprache hatte ich mir einen treuen Freund erworben.“

Das Buch liest sich süffig, ist wortgewandt und anschaulich in einem sanft dahinplätscherndem Stil geschrieben und enthält en passant sehr viel Wissenswertes über Land und Leute („…große Bogentüren mit bäuerlichen Mustern, die noch schwache Spuren eines venezianischen Einflusses zeigten“; „…das von Rimbaud erbaute Haus“ etc.). Durrell beschreibt herrlich witzige Szenen ebenso wie groteske, absurde Ereignisse, immer grundiert von einer Mitmenschlichkeit, die jede seiner persönlichen Begegnungen durchzieht.

Die Freundschaften mit Zyprern bleiben bestehen, wenn sie auch ab ungefähr der Hälfte des Buches (1955) überlagert werden durch die Schilderung des Aufkommens der griechisch-zypriotischen Untergrundarmee EOKA und deren Kampf mit Terrorakten und Anschlägen gegen die britische Kolonialmacht. Mitunter scheint dann doch eine patriarchalisch-gutmütig-herablassende Art auf in der Darstellung der Inselbewohner, andererseits aber verdeutlicht Durrells Innenansicht der Kolonialverwaltung auch die „Halsstarrigkeit“ und „Ignoranz“ der Kolonialmacht und die „Unfähigkeit, Cypern ohne das Kolonialschema zu sehen“, soll heißen das Zypernproblem als ein mehrdimensionales zu erkennen, an dem neben Zypern und Großbritannien mindestens noch Griechenland und die Türkei beteiligt sind.

Auf weniger als einer Seite legt Durrell eine bündige Darstellung der sozialen Verwüstungen durch Terror vor: „Man braucht etwa einen Monat, um auf den besonderen Geschmack des Terrors zu kommen, der sich aus kaum spürbaren Ängsten zusammensetzt – rennende Füße auf einer mitternächtlichen Straße, ein schweigender Mann in weißem Hemd, der an einer Straßenecke mit einem Fahrrad steht, das viel zu klein für ihn ist, ein ohne Licht parkender Wagen, eine halb geöffnete Fabriktür, das Flackern einer Fackel in einem Feld. Terror vergiftet die normalen Lebensäußerungen. (…) Der böse Geist des Terrors … ist der Verdacht – ein Mann bleibt stehen und bittet um Feuer, ein Gefährt mit gebrochener Achse fordert Hilfe, ein Fremder steht allein zwischen Bäumen, drei junge Leute gehen nach Sonnenuntergang in ein Dorf zurück, ein Schafhirt im Mondlicht ruft etwas Unverständliches, in der Nacht geht jäh die Türglocke. Die feine Kette des Vertrauens, die alle menschlichen Beziehungen trägt, ist gerissen – und das weiß der Terrorist, und eben hier schärft er seine Klauen; denn sein unmittelbares Ziel ist nicht der Kampf.“

Kurz vor Durrells Abreise 1956 wird sein Freund, der Lehrer Panos ermordet, der ihm einst Unterkunft gewährt und ihn in die Geographie Zyperns eingeführt hatte. Diesem setzt er, nicht pathetisch, sondern verhalten melancholisch ein Denkmal, indem er über mehr als dreißig Seiten den letzten gemeinsamen Tagesausflug in die Schönheiten und Absurditäten der Insel berichtet.

Durrell gelingen hinreißende Landschaftsbeschreibungen und treffsichere Vergleiche:
“Ich war auf etwas Schönes gefasst, denn ich wusste bereits, dass das verfallene Kloster von Bellapaix eins der bezauberndsten gotischen Überbleibsel der Levante ist, aber ich war nicht auf die atemberaubende Harmonie mit dem kleinen Ort gefasst, der es an der Flanke der Berge umfängt und wiegt. Vor der letzten Steigung beginnt die Straße sich durch eine Landschaft voller Orangen- und Zitronenbäume zu schlängeln, in der überall Wasser rieselt und rauscht. Mandel- und Pfirsichblüten rahmen den Weg so unwahrscheinlich exakt wie auf einem japanischen Bühnenbild. Über die letzten hundert Meter kommt der Ort die Straße herunter: graue altertümliche Häuser mit Bogengewölben und in altmodischen Mustern geschnitzten Türen.“
„Das Licht brach gerade aus dem Meer hervor, und die rosigen Dachsparren der Abteiruine zeichneten sich als schweflige Streifen in Bronze und Scharlach dagegen ab. Morgenröte und Sonnenuntergang auf Cypern sind unvergesslich (…) Wir rauchten schweigend und beobachteten von diesem kleinen Plateau aus den langsam aufflammenden Weltenbrand, bevor wir den atemberaubenden Steilhang nach Kyrenia hinabbrausten. Schnell wurde getankt, und dann kletterte ich die Bergkette hinan. Die Sonne kletterte mit, Stufe um Stufe, Kamm um Kamm, bis ich die letzte Kehre der Passstraße genommen hatte und die ganze Mesaoria [die fruchtbare Ebene „zwischen den Bergen“, d. V.] sich im sanften, butterfarbenen Morgenlicht ausbreitete, schmachtend und grün wie der Wunsch eines Liebenden, oder durch ein Spinnweb aus Nebel schimmernd wie die Luftspiegelung auf einem chinesischen Aquarell.“
„Bei hellem Mondlicht war diese Gegend unheimlich und von einer monochromen Schönheit, die aus der Wesenlosigkeit erwuchs: die Schatten ausgeleert und überall über die Hänge der Nacht verspritzt. In Morphou entrollte sich die breite, schimmernde Bucht unter dem vollkommenen Himmel zu einem Präsentierteller aus Silberflocken. Wir kamen an einem Kamelzug vorbei, der unbeholfen unter den Johannisbrotbäumen die Straße entlangschlingerte. Die Tiere waren mit Kornsäcken beladen, auf denen schlafende Männer saßen, die im Mondlicht gen Nikosia schaukelten. Einen Augenblick lang geriet das weiche Tappen der Sohlen und das Seufzen der Jungtiere in unseren Hörbereich und lag über dem wespenhaften Summen des Motors und dem Zischen des Windes an den Scheiben. Dann wurden die Laute verschluckt, und wir fuhren ins Tal hinab, um die Küstenstraße zu erreichen, die diamanthart, vom Licht poliert, schimmerte.“

Durrell lässt vor dem Auge des Lesers einprägsame, lebendige Bilder erstehen, so auch dieses: „Als ich dem ahnungslosen alten Vater erzählte, sein Sohn sei Schriftsteller, und es seien schon Gedichte von ihm gedruckt, schwenkte er seine staubige Mütze hoch in die Luft und rief: ‚Gepriesen sei die Mutter, die ihn geboren hat!‘ “

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Datum: Montag, 15. Mai 2017 20:09
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