John Williams, Stoner

(Erschienen 1963)

Lange hat mich kein Roman so ergriffen wie diese unaufgeregt und geradlinig, in klarer und doch geradezu zärtlicher Prosa geschriebene Schilderung eines unauffälligen, aber bedeutsamen Lebens. William Stoner, ein amerikanischer Farmersohn, geb. 1890, nimmt das Landwirtschaftsstudium auf, verliebt sich jedoch in einem obligatorischen Grundkurs – in die Literatur. Er wechselt das Studium, macht seinen Abschluss in englischer Literatur und wird an derselben Universität Assistenzprofessor.

Dem kriegerischen Eifer und patriotischen Taumel bei Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg bleibt er fern, er kann mit dieser massenhaften Vernichtung von Menschen und wahnwitzigen Verschwendung von Dingen nichts anfangen, für ihn wäre dies verlorene Zeit, die ihn von seiner Arbeit abhält. Er meldet sich nicht freiwillig, und lässt sich später befreien. Einer seiner beiden wichtigsten Freunde jedoch stirbt in Frankreich.

Er heiratet die erste Frau, in die er sich verliebt. Ein katastrophaler Fehler. “Within a month he knew that his marriage was a failure; within a year he stopped hoping that it would improve.” Gezeter, Zurückweisungen, Krisen, Ehekrieg, Gemeinheiten, Gleichgültigkeit, Einsamkeit, Gezerre um das einzige Kind, eine Tochter – Stoner hält durch, findet Trost in der Arbeit: “He read and studied, and at last came to find some comfort, some pleasure, and even a ghost of the old joy in that which he did, a learning toward no particular end.”

Stoner erträgt auch, dass seine Frau es ihm unmöglich macht, mehr als ein Buch zu veröffentlichen. Er will ein guter Wissenschaftler sein, und ein guter Lehrer. “The love of literature, of language, of the mystery of the mind and heart showing themselves in the minute, strange, and unexpected combinations of letters and words, in the blackest and coldest print … he began to display, tentatively at first, and then boldly, and then proudly.” Stoner nimmt seine Aufgabe ernst und wichtig und erarbeitet sich einen guten Ruf.
Er ist nicht bereit, einem faulen Blender und Dampfplauderer die benötigte Zulassung zu erteilen und lässt ihn durchrasseln, obwohl dieser ein Schützling seines designierten Chefs ist. Es kommt zum Eklat. Stoner gibt nicht nach, mit dem Ergebnis, dass der fragliche Student dennoch weiter studiert, er aber, Stoner, karrieretechnisch ein für allemal auf dem Abstellgleis der Anfängerkurse landet.

Dem Einbruch der Mechanismen der unwirklichen Welt ‚da draußen’ in die Universität ruft er entgegen: “Sure, everything you say is a fact, but none of it is true.”

In Ehe und Arbeit der Möglichkeiten beraubt, seine Liebe zu den Menschen und zu ihrer Literatur auszuleben, wird er lethargisch, verzweifelt und fühlt sich der Realität entrückt. “He found himself wondering if his life were worth the living; if it had ever been. (…) He was forty-two years old, and he could see nothing before him that he wished to enjoy and little behind him that he cared to remember.”

Doch dann verliebt er sich in eine Doktorandin, und sie erwidert seine Liebe. Sie erleben einige Monate beseelten Glücks, in denen sich ihre Liebe und ihre wissenschaftlichen Arbeiten gegenseitig befeuern. Doch kann dies nicht von Dauer sein, das ist ihnen klar. Als die Sache ruchbar wird und der rachsüchtige Chef mit dem Rauswurf der Doktorandin droht, kündigt sie und zieht in einen anderen Staat. Diese Entscheidung treffen sie einvernehmlich, denn alles andere wäre “the destruction of ourselves, of what we do. (…) We both would become something else, something other than ourselves. We would be – nothing.”

Stoner wird krank und setzt seine Lehrtätigkeit kurz aus. Zurückgekehrt, macht er kurzerhand seine Anfängerkurse inhaltlich zu Fortgeschrittenenseminaren, lässt sich nicht umstimmen und ertrotzt schließlich seine Wiedereinsetzung als vollwertige Lehrkraft. Die Jahre nach dem 2. Weltkrieg sind seine besten Lehrjahre, die Studenten studieren, “as if those studies were life itself and not specific means to specific ends.”

Die letzten Jahre lässt man ihn in Ruhe, er kann lehren und arbeiten, wie es ihm gefällt. Doch ist er müde und wird ein eigenwilliger, etwas schrulliger Professor. Kurz vor seiner Pensionierung stirbt er an Krebs. “And he felt also, with that breath he took, a shifting somewhere deep inside him, a shifting that stopped something and fixed his head so that it would not move. Then it passed and he thought, So this is what it is like. (…) A sense of his own identity came upon him with a sudden force, and he felt the power of it. He was himself, and he knew what he had been.”

So unspektakuär und unheroisch Stoners Leben scheinen mag; mag manch richtungsweisende Entscheidung mehr zu ihm gekommen als von ihm getroffen worden zu sein, so ringt er doch zäh darum, aller Unbill zum Trotz ein ihm gemäßes Leben zu führen. Er weiß, was das in seinem Fall heißt: die Liebe zum zweckungebundenen, freien und bildenden Lesen und Lernen zu bewahren, zu pflegen und weiterzugeben.

“As his mind engaged itself with its subject, as it grappled with the power of the literature he studied and tried to understand its nature, he was aware of a constant change within himself.”
“…knowing something through words that could not be put in words”
“…it was himself that he was slowly shaping, it was himself that he was putting into a kind of order, it was himself that he was making possible.”
“In his extreme youth Stoner had thought of love as an absolute state of being to which, if one were lucky, one might find access; in his maturity he had decided it was the heaven of a false religion, toward which one ought to gaze with an amused disbelief, a gently familiar contempt, and an embarrassed nostalgia. Now in his middle age he began to know that it was neither a state of grace nor an illusion; he saw it as a human act of becoming, a condition that was invented and modified moment by moment and day by day, by the will and the intelligence and the heart.”
“Beneath the numbness, the indifference, the removal, it [i.e. the force of passion, of love] was there, intense and steady; it had always been there. (…) He had, in odd ways, given it to every moment of his life, and had perhaps given it most fully when he was unaware of his giving. It was a passion neither of the mind nor of the flesh; rather, it was a force that comprehended them both, as if they were but the matter of love, its specific substance. To a woman or to a poem, it said simply: Look! I am alive.”

 

 

 

 

 

 

 

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Datum: Samstag, 11. März 2017 23:26
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